Die Besprechung in »NZ – Neue Zeitschrift für Musik«

Die Neue Zeitschrift für Musik, kurz NZ, wurde 1834 von Robert Schumann gegründet. Das Organ der Robert-Schumann-Gesellschaft ist seit 1906 mit dem Musikalischen Wochenblatt, seit 1953 mit der Zeitschrift Der Musikstudent sowie seit 1955 mit der Zeitschrift Das Musikleben (gegründet 1948 von Prof. Dr. Ernst Laaff) vereinigt. Altehrwürdiger geht es wohl kaum. Neben Fachartikeln erschienen auch regelmäßig Besprechungen von Schallplatten und Büchern. In der Ausgabe 8/1974 wurde diese Ehre dem Rock-Lexikon zuteil:

Dieser wohl bemerkenswertesten Schrift über Rockmusik im deutschsprachigen Raum ist jenes Wunder gelungen, um dessen Herbeiführung die deutsche Popmusik selbst bislang vergeblich ringt: Sie hat den Anschluß an den angelsächsischen Standard gefunden. Mißt man das Taschenbuch der beiden Autoren an der vergleichbaren „Rock Encyclopaedia“ von Lilian Roxon (1969), so wurde das Ausland an Vollständigkeit und Akribie sogar erheblich übertroffen. Das Lexikon umfaßt alle nennenswerten Gruppen, Solisten und Produzenten, füllt die Artikel zuverlässig mit Daten und kritischen Urteilen aus einschlägigen Zeitschriften und vervollständigt den Informationsstoff mit einer lückenlosen Diskographie, in welcher weder die jeweilige Plattenfirma noch das Erscheinungsjahr fehlt. Ein gedrängter Essay klärt zu Beginn Begriffe wie Rock, Pop, Blues, Country-and-Western und beleuchtet die sozialen und historischen Hintergründe der Gattung. Ein knappes, aber immer wieder lesenswertes Verzeichnis einiger Fachausdrücke sowie der einflußreichsten Plattenfirmen folgt den Einzelartikeln; die Brauchbarkeit des Nachschlagewerkes wird dank einer weiterführenden Bibliographie und einem sorgfältigen Personenregister erhöht.

Nur vereinzelt reizen die Werturteile zum Widerspruch: der Artikel über die britische Gruppe „Jethro Tull“ z. B. ist unbegründet distanziert — unverständlich sogar, daß in der beigegebenen Diskothek zum Gebrauch des interessierten Anfängers nicht wenigstens die LP „Thick as a Brick“ erscheint. Zu vermuten sind hierbei persönliche, um nicht zu sagen weltanschauliche Reserven beider Verfasser gegenüber Gruppen, denen das Schreckgespenst des Nihilismus angedichtet wird. Im ganzen jedoch kann sich der Leser auf die Urteile des Lexikons ruhig verlassen — von dessen mittlerweile erlangter Autorität zeugt übrigens der Umstand, daß sich Plattenhüllen gern auf die in ihm enthaltenen Formulierungen berufen. Das Buch gehört in die Hand jedes modernen Menschen und — sofern die Musikwissenschaft vor der ereignisreichsten Strömung der letzten Jahre nicht die Augen verschließen will — in jede Seminarbibliothek.

Autor dieser erstaunlichen Lobeshymne war Tibor Kneif – gerade zum Professor an der Freien Universität Berlin  berufen, deren musikwissenschaftliche Fakultät er bis in die 1990er Jahre mitprägte. Er interessierte sich stets auch für den Musikjournalismus, verfasste selbst Kritiken von Musik-Alben für Tageszeitungen. Sein Sachlexikon Rockmusik erschien 1978, ebenfalls bei Rowohlt. Dessen Überarbeitung und Erweiterung übernahm 1992 Bernward Halbscheffel, der dann nach dem Tod von Barry Graves für eine Ausgabe ins Rock-Lexikon-Team kam. Tiburtius „Tibor“ Kneif starb 83-jährig 2016 in Berlin.

QUELLE: NZ – Neue Zeitschrift für Musik, 8/1974, S. 531